Gewinn und Gefahr – Neuromarketing leicht erklärt

Warum Neuromarketing spannend und gleichzeitig umstritten ist
Online Marketing
Trends
17
Juli 2023

„Neuromarketing“ klingt herausfordernd. Dabei untersucht und erzeugt es etwas, das uns im Konsumalltag ständig begegnet – meist, ohne dass wir es bemerken. Unternehmen nutzen es, um besser zu verkaufen, Kund:innen „fallen“ darauf „rein“, genießen es aber auch. Was steckt dahinter?

Eine subtile Wissenschaft, die Konsumentenpsychologie entschlüsselt

Haben Sie schonmal ein Produkt einem anderen vorgezogen, weil es Ihnen einfach „besser“ erschien? Ohne dass Sie sich logisch erklären konnten, warum?

80 bis 95 Prozent unserer Kaufentscheidungen treffen wir nicht rational, sondern unbewusst und emotional. Neuromarketing-Strategien bedienen sich genau dieser Tatsache: Sie geschehen so unterschwellig, dass wir sie kaum bemerken. Das fachübergreifende Forschungsgebiet untersucht Phänomene wie:

  • Wie und warum reagiert unser Gehirn auf Werbung und Vermarktung?
  • Welche Reize treiben uns zu Kaufentscheidungen?
  • Durch welche Sinneswahrnehmungen lassen sich Dinge schneller und gezielter verkaufen?

Um herauszufinden, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir bestimmten Werbereizen ausgesetzt sind, werden neuro- und kognitionswissenschaftliche Methoden eingesetzt: Testpersonen erhalten z.B. kurze Einblendungen von Text, Slogans, Anzeigen, Verpackungsdesigns und Kurzfilmen, hören Jingles oder Geräusche und sind währenddessen an Messgeräte angeschlossen. 

Ziel ist herauszufinden, wie die eingesetzten Reize auf sie wirken und welche sie am ehesten zu einem Kauf bewegen würden. Zum Beispiel versucht man zu messen, welche Gefühle eine Kampagne auslöst, welcher Ton in einer Werbung am besten ankommt oder bei welcher Farbe Menschen am ehesten auf einen Kaufbutton klicken. Es geht um Verbraucherverhalten und -psychologie.
 

Wie wird Neuromarketing genutzt?

Neuromarketing dient Marktforschern als nützliche Herangehensweise, um Kund:innen besser zu verstehen und zu Käufen zu steuern. Es ermittelt Reize, die sie (unbewusst) dazu bringen, Dinge zu verlangen und liefert damit Grundlagen für sehr subtile Verkaufstechniken. 

Für Anbieter ist das ein Gewinn: Neuromarketing unterstützt sie dabei, ihre Produkte und Dienstleistungen feiner an die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe anzupassen, Aufmerksamkeit zu erregen, aus der Masse hervorzustechen und ihre Käufer:innen besser zu bedienen. Kampagnen lassen sich genauer ausrichten, ihr Erfolg eher vorhersagen. Da sich Kund:innen / Konsument:innen in ihren Bedürfnissen besser angesprochen fühlen, werden die Produkte erfolgreicher verkauft.

Als Konsument:innen sollten wir uns wiederum bewusst sein, dass Neuromarketing einen erheblichen Einfluss auf unser Kaufverhalten hat, der oft weiter reicht, als wir in der Lage sind, zu erkennen. Denn es nutzt gezielt Erkenntnisse über menschliche Emotionen und unbewusste Prozesse, um Marketingstrategien zu entwickeln, die uns ansprechen. Emotionale und unbewusste Entscheidungen werden also geschickt genutzt, um unser Verbraucherverhalten zu lenken.

Wie entstand der Begriff Neuromarketing? Welche Technologien werden eingesetzt?

Den Begriff „Neuromarketing“ prägte 2002 der niederländische Marketingprofessor Ale Smidts. Umfangreiche Forschungsarbeit hat seitdem u.a. das Brighthouse Institute for Thought Science geleistet. Doch bereits Untersuchungen der 1970er Jahre gelten als Vorboten. Entscheidend war die Entwicklung der Medizintechnik: Moderne Technologien machten die Messung und Abbildung elektrischer Hirnaktivitäten für Marketingzwecke überhaupt erst möglich. Darunter:
 

  • Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)
  • Elektroenzephalogramm (EEG) 
  • Positronen-Emissions-Tomographie (PET)
  • Eye-Tracking
  • Biometrische Untersuchungen der Herzfrequenz, Pupillengröße, Muskelaktivität usw.
     

Kaufen wollen – das Prinzip „Belohnung“

Bei unseren Kaufentscheidungen spielt das Belohnungsprinzip eine Schlüsselrolle: Je mehr wir eine Form der „Belohnung“ erwarten und vorauserleben, desto eher kaufen wir. Dass unsere Empfindungen und Reaktionen wiederum selten ein Zufallsprodukt sind, „weiß“ und nutzt Neuromarketing, zum Beispiel so: 

Punktesysteme in Onlineshops: Je mehr Punkte wir durch Käufe sammeln bzw. verdienen, desto höher sind die Belohnungen, die wir dagegen eintauschen können. Das soll uns ermutigen, treu und regelmäßig bei einem Unternehmen einzukaufen.

Glücksrad: Menschen spielen gern. Wenn wir z.B. bei einer Shop-Verlosung etwas gewinnen, verbinden wir diese Freude mit der Marke – das sorgt für eine positive Customer Experience.

Musik, Geräusche und Farben beeinflussen unsere Stimmung: Sie werden gezielt eingesetzt, um Verbindungen hervorzurufen, die fest in unseren Köpfen verankert sind.

Die Produktanordnung in Kaufhäusern, Supermärkten, aber auch Onlineshops führt bewusst durch das Sortiment: Waren für Kinder werden z.B. auf deren Augenhöhe platziert, lenken sie durch Farben und Geräusche, die bei ihnen beliebt sind, zu sich.

Auch sehr beliebt – künstliche Verknappung erzeugt Druck: Letzte Chance! Dieses einmalige Angebot läuft in 2h ab!

Ist Neuromarketing unethisch?

Neuromarketing lastet oft der Vorwurf der Manipulation an. Kritiker:innen warnen, dass das tiefe Eindringen in die Gehirnaktivität von Menschen, um persönliche Daten und Informationen über sie sammeln, invasiv und unmoralisch sei. Es mache uns (noch) konsumsüchtiger, abhängiger. Außerdem ist umstritten, ob es wirklich so viel genauer ist als herkömmliche Marktforschungsmethoden.

Fazit

Neuromarketing versucht zu verstehen und vorherzusagen, wie, wann und warum wir uns zu einem Kauf entscheiden. Seine medizintechnischen Methoden liefern Erkenntnisse über menschliches Kaufverhalten. Das verleiht ihm gleichzeitig das Potential, unser Gehirn bei und zu Kaufentscheidungen zu beeinflussen – gleich einer „unsichtbaren Macht“, die tief in unser Unterbewusstsein eindringt und unsere Präferenzen formt. Ob letzteres tatsächlich so angestrebt und umgesetzt wird, liegt in der Verantwortung der verkaufenden Unternehmen.